Restselbstbild

Der innere Kampf 

Dieser Kampf ist der einzige, bei dem sich nicht alles um das Gewinnen, im herkömmlichen Sinn, dreht, sondern um das Aufgeben. Es ist nicht möglich, seine inneren Kämpfe als „Sieger“ zu beenden. Es geht nur darum, gewisse Dinge zu akzeptieren, welche die eigene Persönlichkeit ausmachen. Das Loslassen erfordert nicht – wie es das Wort auch aussagt – dass man mit sich „kämpft“, sondern dass man mit dem „Kämpfen“ aufhört und daraus ein Ergebnis für sich ableitet. Dieses Ergebnis ist sehr stark an die Toleranz angelehnt, denn erst, wenn man dazu in der Lage ist, sich „Selbst“ und jedes andere Wesen so zu akzeptieren wie es ist, erst dann und nur dann kann man die vielen unterschiedlichen „Welten“ aller Wesen erkennen und schätzen lernen. Aus dieser Sichtweise heraus zeigt sich der „Kampf“ als das, was er ist:  

Das Auflösen von Mustern, die das eigene Leben „dual“ geprägt haben. 

Sie werden jetzt wahrscheinlich denken, dass das Leben in unserer Gesellschaft die Dualität erfordert. Sollten Sie diesen Gedanken verspüren können, dann greifen Sie ihn doch mal auf. Fragen Sie sich einmal, warum Sie denken, dass die Dualität nötig ist. Es tauchen plötzlich viele „Dinge“ auf, „Dinge“, die Sie in eine merkwürdige Situation bringen. Die Sichtweisen, aus denen heraus Sie nun beginnen, die Dualität  zu beleuchten, ändern sich. Es ist so, weil es so sein muss. Sobald Sie etwas aus der Sichtweise des Arbeiters, Geschäftsmenschen, Familiengründer, Freund, Feind, Ehepartner, usw. heraus betrachten, beginnt sich etwas zu ändern, nämlich Ihr gesamtes Verhalten und Denken. In jeder Person, die Sie darstellen, existiert ein eigenes „Verhaltensmuster-Paket“, das sich aus ganz verschiedenen „Wertvorstellungen“ zusammensetzt. Als Arbeiter sehen Sie die Dinge aus der Sichtweise des Erwerbs von Gütern, Sie arbeiten um sich Ihre Existenz zu sichern. Als Ehepartner setzen Sie das Gewicht auf die Harmonie mit Ihrem Partner oder fechten den Kampf der Kompromisse aus, je nachdem ob Sie dort sein wollen oder nicht. Als Familiengründer werden Sie Ihre eigene Nachkommenschaft in den Vordergrund rücken und Ihre eigene Lebensplanung diesen neuen Erfordernissen widmen. Natürlich sind dies nur logische Schlüsse, die in ihrer Aussagekraft nicht generell zu verallgemeinern sind, aber aus ihrem ersten Antrieb heraus treffen sie zu. Es geht hier nicht um die Bewertung der Sichtweisen, sondern um das Erkennen als solches. Viele werden jetzt denken, dass man diese Muster gar nicht auflösen kann, ohne aus der Gesellschaft „auszusteigen“, genau hier verbirgt sich ein weiterer interessanter Ansatzpunkt: 

Wieso muss das Auflösen eines Musters eine „negative“ Wirkung haben? 

Wenn Sie davon ausgehen, dass Sie ein bestimmtes Muster benötigen, um in einer bestimmten Sichtweise existieren zu können, dann weisen Sie ihm indirekt eine „positive“ Wirkung zu. Denn Sie sind ja der Meinung, dass Sie ohne dieses Muster die von Ihnen geforderte Leistung nicht bewerkstelligen können. Also weisen Sie dem Loslassen dieses Musters eine „negative“ Wirkung zu, denn ohne es können Sie ja nicht mehr Ihre „Aufgabe“ erfüllen. Das Misstrauen an sich schürt das Denken in solch einer Situation. Wenn Sie aus Ihrem Denken heraus die Menschen für „schlecht“ halten, dann sind die Muster ein Schutz vor sich selbst. Wenn Sie eher das „Gute“ in den Menschen sehen, dann können Sie wesentlich leichter Ihre Muster loslassen. Das einzige größere Problem besteht dann darin, dass Sie die Muster als solche erkennen. Dies ist nur möglich, wenn Sie alles, was Sie tun, bewusst tun, ein selbstorganisiertes bewusstes Sein (Bewusstsein) ist unablässig von Nöten.  

Die Muster, die wir uns im Laufe der Zeit zulegten, funktionieren wie eine Automatik, denn sobald wir auf eine Situation treffen, die einer schon gespeicherten Situation gleicht oder ähnelt, wird das entsprechende Muster „gestartet“. Dadurch befinden wir uns in einer Situation, die nicht unserem eigentlichen Bewusstsein entspricht, denn ein Muster bringt uns in einen geänderten Bewusstseinszustand. Das eigene Verhalten wird durch das Muster verändert (angepasst) und somit ist man ein anderer als sonst. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Wutanfall. Wenn man seiner Wut freien Lauf lässt, dann ist man definitiv nicht mehr derselbe wie vorher, das können einem die anderen Menschen um einen herum bestätigen, man muss sie nur fragen. Wenn man die Kontrolle über sich selbst anstrebt, dann muss man auf die Situationen achten, in denen man sich selbst nicht mehr erkennt. Es bringt nichts, diese Situationen so schnell als möglich wieder zu vergessen, denn mit ihnen kann man damit beginnen die Veränderung zu seinem sonstigen Verhalten zu erkunden. Bewusstes Sein erfordert und fördert, dass man jede Veränderung bemerkt und somit ist es einem möglich, selbst zu entscheiden, ob man diese annehmen möchte oder nicht.  

Der innere Kampf ist also kein Kampf an sich, sondern ein Erkennen und Loslassen. Der Kampf besteht darin, die Dinge bewusst wahrzunehmen und dann seinen ganzen Mut zu benutzen, um sich seiner eigenen „Einschränkung“ gewahr zu werden und zu stellen. Der Rest stellt keine große Hürde mehr dar, denn man hat nun den Kampf ohne zu kämpfen entdeckt und dieser ist stärker als der Kampf mit der Zerrissenheit. Das Maß an zur Verfügung stehender Energie steigt nun ständig an, denn jedes Muster bindet ein wenig unserer Energie.

Copyright 2003 by Michael Mayer