Restselbstbild

Meine Theorie von „ES“

„ES“ ist ein Begriff, der das „Allseiende“ bezeichnet. In der Psychoanalyse ist es das Unbewusste, also etwas, das vorhanden aber nicht greifbar ist. Viele gehen davon aus, dass „ES“ eine andere Bezeichnung für Gott ist. Mein Gefühl aber sagt mir, dass es mehr ist. Also stelle ich die Götter mindestens eine Stufe unter „ES“. Wenn „ES“ das höchste ist, dann sind wir nur ein Teil von ihm. Da man ein einzig Seiendes aber nicht teilen kann, weil ja im Endeffekt nur dieses existiert, müssen auch wir ein unteilbar Ganzes sein. Wir sind ein Hauch von ihm und doch vergleichbar mit dem Ganzen, wir können uns nur nicht daran erinnern. Die Götter sind nach meiner Meinung etwas dazwischen; sie sind höhere Wesen, die uns helfen, einen bestimmten Punkt in der Evolution zu erreichen. Das, was wir erfahren, teilt sich unmittelbar dem „ES“ mit, somit helfen wir ihm stetig, alle Varianten des Seins zu erfahren. Es geht um Erfahrung; wenn man nicht weiß, wie sich etwas verhält, dann bleibt nur der Weg es zu erfahren. Diese Regel unterstelle ich dem „ES“ einfach. Als Beispiel nehme ich das Unglück, wenn ich niemals Unglück erfahren habe, dann kann ich auch nicht wissen, wie es sich anfühlt. Um also glücklich sein zu können, muss ich das Gegenstück - das Unglück - erfahren haben. Wenn ich das Unglück nicht kenne, dann kenne ich auch das Glück nicht. Ich kann dann nur sein - wie ich bin, bleibt mir weitläufig unbekannt. „ES“ wird sich fragen, was bin ich, was mache ich hier; der Mensch stellt sich somit, aus seinem tiefsten Inneren die selben Fragen. Aus diesem Grund begibt sich der Mensch in die Zerstreuung, er will nicht über diese Dinge nachdenken. Vielleicht soll es auch nicht so sein, denn „ES“ hat uns ja erschaffen, um andere und neue Dinge zu erfahren. Wenn es einfach nur Grübeln wollte, dann bräuchte es den Menschen mit seinem beschränkten Denken nicht. Das Erfahren von linearen Zeitzuständen muss eine seltsame Erfahrung für „ES“ sein. Ein Wesen, das ohne Begrenzungen von Raum und Zeit existiert, steht wirklich über allem was wir uns vorstellen können. Aus dieser Sicht sind wir nur ein ganz kleines Stückchen vom dem ganzen und doch sind wir alles, da das ursprünglich Ganze nicht teilbar ist. Es ist für unser Denken schwerlich vorstellbar, aber nur deshalb, weil wir es nicht anders erfahren haben. Unsere Erfahrung beschränkt sich in dieser Realität auf das was wir kennen. Wir haben, um uns selbst weiter zu bringen, das Vergessen auf uns genommen, somit können wir Dualität erfahren. Der Mensch ist eine Synthese aus Körper, Geist und Seele; eine solche Verbindung ist recht bemerkenswert. Der Körper ist – wie alle Materie – in seinen kleinsten Teilen der Energie zuzuordnen, der Geist ist – wie auch die Gedanken – auch eine Energieform. Die Seele aber ist nicht zuzuordnen; auf den ersten Blick neigt man dazu, sie in die Energie-Spirale einzugliedern, aber ich denke, dass dies nicht so einfach möglich ist. Energie ist nach einem bestimmten Muster aufgebaut, auch wenn wir heute noch nicht alle Bauteile verstehen. Die Seele ist etwas, das außerhalb von geordneten Strukturen anzusiedeln ist, da sie der Teil von „ES“ ist, der uns beseelt. Der Ausdruck der Seele ist die Kraft der Gefühle. Die Gefühle lassen uns oftmals sehr schizophren dastehen. Kennen Sie die Situation, in der Ihr Denken einen Menschen verurteilt und einen Moment später kommen Ihre Gefühle zum Vorschein und Sie haben mit demselben Menschen plötzlich Mitleid? Es scheint so, als wären zwei verschiedene Persönlichkeiten an diesem Prozess beteiligt und genauso ist es auch, der äußere und der innere Mensch sind zwei verschiedene Menschen. Der Arbeiter in der Firma und der liebende Familienvater zu Hause sind zwei verschiedene Menschen. Der innere Mensch ist derjenige, der sich nach dem „ES“ sehnt und sich auch die Fragen seiner Identität stellt. Das „ES“ ist also der Motor unserer Seele, sie ist die Verschmelzung mit dem Göttlichen in uns. Der aufmerksame Leser wird den Widerspruch bemerken. Wenn ich die Götter unter „ES“ stelle und sage, die Seele ist die Verbindung mit „ES“, dann wäre es nicht göttlich sondern „ES-lich“. Die Unterteilung in Stufen ist notwendig, um sich über dieses Thema auszudrücken. Die Stufe des Göttlichen ist eine Verbindungsschnittstelle, es sind Wegstationen der festen Gestalt. Die Stufe eines Gottes ist erreichbar, aber wenn man im „ES“ aufgeht, dann gibt es keine Unterschiede mehr, es ist einfach Sein. Diese letzte Station ist alles und nichts, außerhalb von Raum und Zeit. Ich hoffe, dass ich mit dieser Darstellung eine Reaktion bei Ihnen auslösen konnte - sei es Zuspruch oder Ablehnung, beides liegt im Einklang mit der Dualität. Derjenige, der sich nach diesem Text im „Jetzt“ wieder findet, also nur den Moment genießt, der sollte sich einmal Gedanken darum machen, warum das so ist. Es werden Antworten folgen, soviel ist sicher.

 

Copyright 2003 by Michael Mayer