Restselbstbild

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Henry war ein kleiner, unscheinbarer Mann, er wurde in diesem Jahr 39 Jahre alt und er hat sein Leben immer als Qual empfunden. Er war einer der vielen lebenden Toten, die unsere heutige Gesellschaft erschaffen hat um, die Entwicklung des Fortschritts immer weiter voranzutreiben - kurz gesagt: Er war ein Schläfer. Seinen Job hasste er, solange er ihn hatte. Er arbeitete in einer Fabrik, die ausschließlich Fertigteile aus Kunststoff für die medizinische Verwendung produzierte. Seit 15 Jahren war er in der Produktion tätig, in der keine Unterhaltung oder sonstige andersartige, die Arbeit störende Vergnügung erlaubt wurde. Dieser Mann hatte ein Geheimnis, das weder er noch ein anderer kannte. Immer wenn er an seiner monoton arbeitenden Maschine stand, verließ er unsere Welt und erlebte aufregende Abenteuer in bizarren Realitäten, die außerhalb unserer Vorstellungskraft liegen. Sobald die Werkssirene ertönte, wurde er in seine Welt zurückgerissen und er war wieder der Maschinenmensch, der er immer war.

Nachdem er sich geduscht hatte, ging er langsam zu seinem Auto; ein kleines, reparaturbedürftiges, unscheinbares Fahrzeug. Er ging langsamer als alle anderen, um es genau zu sagen, brauchte er für 200 m ca. 20 Minuten. Als er den Parkplatz schließlich erreichte, war sein Fahrzeug das einzige, das noch da stand. Nachdem er in sein Fahrzeug eingestiegen war, kamen seine „normalen“ Gedanken wieder. Gedanken, die sich nach Liebe sehnten und sich in Gewalt ausdrückten. Ich meine hier keine aktive Gewalt, sondern die Art von Gewalt, die auf einen, bis auf das letzte unterdrückten und geistig verkrüppelten Menschen hinweist. Seine Gedanken brannten in seiner Seele - er fühlte sich, als wenn ein Lötbrenner ganz langsam ein Loch in sein Herz brannte, solange bis die Flamme auf der anderen Seite wieder herauskommt. Ein solches Wesen wie Henry würde in der freien Natur nicht lange überleben können, es würde einfach stehen bleiben und sich fressen lassen. Somit wäre es dem ganzen Elend seiner Existenz entgangen.

Aber bei Henry sah die Sache ganz anders aus, so dachte er. Der Weg nach Hause war die Hölle, er kannte jede Stelle, die für einen Unfall geeignet war, aber er hatte auch eine Lieblingsstelle. Da gab es eine Brücke - an dieser fingen die Leitplanken ein bisschen später als gewöhnlich an. Es wäre die ideale Stelle; er müsste nur maximal beschleunigen und genau auf diese Lücke zuhalten, denn es ging rund 50 m nach unten, wo eine stark befahrene Autobahn verlief. Der Aufprall würde seine Qual wahrscheinlich sofort beenden.

Aber dann, bevor er es ausführen konnte, dachte er an seine Maschine auf der Arbeit. Er wusste nicht warum - er spürte plötzlich nur, dass er sich dort auf eine besondere Art wohl fühlte: An seiner schönen Maschine, wo der ganze Tag aus nur 720 Handgriffen bestand und er alleine war mit sich; Pausen oder sonstige lästige Unterbrechungen konnte er auf den Tod nicht ausstehen, er wurde regelrecht aggressiv, wenn man ihn bei der Arbeit störte.

Aber nun, in diesem Moment war er auf der Heimfahrt. Heim - welch ein schönes Wort - es hört sich so warm an und es erinnert an Geborgenheit, nach der sich eigentlich jeder Mensch sehnen sollte. Für Henry hatte dieses Wort allerdings eine ganz andere Bedeutung. Er wollte daran nicht denken, er erfuhr seine Realität jeden Tag auf ein neues, ohne dass sich daran etwas änderte. Darum dachte er lieber an seine „Erlösung“. 

Zuhause angekommen, blieb er noch eine Weile in seinem Auto sitzen und dachte dabei an nichts. Er saß einfach nur da, der Gedanke in seine Wohnung zu gehen, löste regelrechte Angstanfälle der übelsten Art bei ihm aus. Er war wie gelähmt und musste sich mit aller Gewalt aus dem Sitz seines schönen Kleinwagens zwingen. Ja - sogar sein Auto war in diesem Moment ein himmlischer Gegenstand bei dem Gedanken an sein Zuhause. Nach ca. 10 Minuten – ausgehend von diesem Gedanken – hatte er es geschafft, sein Fahrzeug zu verlassen und sein Ziel langsam aber stetig in Angriff zu nehmen.

Er ging nun ganz langsam auf eine Ansammlung von weißen Wohnblöcken zu, die inzwischen mehr einem Grauton der Dunkelheit glichen. Die ersten drei ließ er rechts liegen, dann bog er links ab, jetzt war es das fünfte Gebäude auf der rechten Seite. Zuvor erreichte er noch eine kleine Sitzbank aus Holz, die schon einige Gebrauchspuren aufzeigte. Auf dieser Bank konnte er noch eine letzte Verschnaufpause einlegen. Immer, wenn er auf dieser Bank saß, überlegte er sich, warum die Jugend von heute alles zerstören musste. Überall waren mit Messern Buchstaben und sonstiger Unrat eingeritzt. Es lagen dort auch Dinge, mit denen er nichts anfangen konnte. Es gab z.B. Leute, die sich einen Filter aus Pappe in ihre Zigaretten machten oder er fand Nadeln, die eigentlich in ein Krankenhaus gehörten. Er hatte auch schon einen angekohlten Löffel gefunden; er konnte nicht nachvollziehen, wie man sich mit so unnötigen Dingen befassen konnte.

Als er noch jung war, wusste er, was zu tun war. Wie jeder anständige Bürger begann er nach seiner Ausbildung, die er mit Erfolg abgeschlossen hatte, eine Familie zu gründen. Er war 18 Jahre jung und die Welt lag ihm zu Füßen. In einer schönen Sommernacht lernte er seine Ehefrau Angelika kennen; er erzählte ihr von seinen Träumen, dass er die ganze Welt sehen und kennen lernen wollte und ein Leben in Überfluss führen würde. Angelika war sichtlich angetan von einer solch ausgeprägten und schönen Fantasie. In dieser Nacht haben sie gemeinsam noch einige Flaschen Sekt geleert, schließlich kam es in dieser Nacht zu seiner ersten Erfahrung mit dem „anderen“ Geschlecht. Er war wie gefangen von diesem Gefühl. Der erste Orgasmus hatte ihn paralysiert - er wollte mehr. Der zweite dauerte auch schon deutlich länger als einige Minuten. Es war für ihn, als wenn er stundenlang von hunderten zarten Händen gestreichelt würde; es durchwogte ihn, sein Körper war durchschüttelt und durchzogen von Gefühlen, die er noch nicht mal gedanklich beschreiben konnte. In dieser Nacht wurde ihm seine neue Welt geschenkt.

Alle weiteren Gedanken an diese Zeit hatte er ausgelöscht. Von jetzt an wurde alles viel realer; Angelika war schwanger, also hatte sich die Vision von der Familie erfüllt. Er passte seine Träume nun der Realität an, hier und da ein Job, um die Anforderungen seiner Familie erfüllen zu können. Inzwischen hatte er natürlich seine Angelika geheiratet und er hielt stolz das Stammbuch in seinen Händen, er stellte in diesem Moment eine gedankliche Affinität zwischen sich und seiner Familie her. Von nun an sollte alles so sein wie es sein sollte! Seine Erziehung war ziemlich konservativ, auch sein Vater lebte die Vision der Familie. Er war streng, aber gerecht und starb mit 45 Jahren an Herzversagen, das die Ärzte mit einer Vererbung begründeten. Seit dem dachte er über genetische Vererbung nach. Er wusste nicht wirklich, was das ist, aber es verfolgte ihn seither. Einer der Ärzte seines Vaters hatte ihm „freundlicherweise“ ein paar Hintergrundinformationen dazu mit auf den Weg gegeben.

Als er 24 Jahre alt war, bekam er den gut bezahlten Job in der Fabrik und konnte nun seine Familie, die inzwischen drei Kinder beinhaltete, gut ernähren. Zur Feier des Tages besorgte er einen Babysitter und ging mit seiner Frau ganz groß aus, es war ein schöner Abend, an den er kurz darauf keine Erinnerung mehr hatte. Seine Frau hatte sich inzwischen recht gut in sein Leben integriert; sie trug schöne Kleider und kaufte nur die besten Lebensmittel ein - alles nur für das Wohl der Familie. Da sie eine Haushaltshilfe benötigte, weil sie so vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachging, hatte Henry eingesehen, dass er Überstunden machen musste. Inzwischen litt er unter Impotenz, sein Arzt meinte, es wäre ein psychisches Problem; er müsste einige seiner Lebensumstände ändern, oder vielleicht mal einen Psychologen aufsuchen, um wieder seine alte Form zu erreichen.

Durch seine Überstunden konnte sich seine Frau einige Artikel, die der Befriedigung ihrer Bedürfnisse dienten, leisten. Er verstand natürlich, dass sie nicht auf ihre gewohnheitsmäßige sexuelle Befriedigung verzichten wollte und er fühlte sich sehr beschämt, wenn er ihr jeden Abend mit einem der Hilfsmittel, die man inzwischen sogar schon online oder aus einem Versandhauskatalog bestellen konnte, einen schönen Kick gab. Sie schien sich dabei so wohl zu fühlen wie noch nie und sie war auch so ausgeglichen wie noch nie. Dieser Moment machte ihn noch kleiner als er es schon war. Tag für Tag, immer wieder - sie bevorzugte inzwischen Praktiken, die er noch nicht einmal in seinen wildesten Wunschträumen hatte, denn er genoss eine sehr konservative Erziehung. Das einzige, was ihm blieb, war der Gedanke an frühere Zeiten, was ihm ein groteskes, nicht sexuelles Gefühl gab, er schämte sich selbst für dieses Gefühl, es war irgend wie ekelhaft.

Einmal kam er überraschend früher von der Arbeit nach Hause, weil seine Maschine nicht mehr funktionierte. Er öffnete die Tür und er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Er hörte lautes Stöhnen und vernahm einen animalisch anmutenden Geruch, der die Luft mit einem moschusähnlichen Duft erfüllte. Als er durch den leicht geöffneten Spalt der Türe des Kinderzimmers schaute, sah er als erstes einen Männerhintern; er war behaart und von dunkler Hautfarbe. In diesem Moment wusste er, warum die männlichen Nachbarn immer lachten, sobald sie ihn sahen. Vor ihm kniete seine Frau, die sich heftig bewegte. Auf leisen Sohlen verließ er die Wohnung wieder - er hat heute noch die Stimme seiner Frau im Kopf. Sie schrie: „Ja, gut so, hör nicht auf.“ Dieses Ereignis erzeugte einen Schmerz, der mit dem Schmerz des Lötbrenners nicht zu vergleichen war. Dieser Schmerz schien in seinem Herzen zu explodieren. Nach einiger Zeit hatte er sich an diesen Schmerz gewöhnt, er hatte eine süße Note bekommen. Bis zum heutigen Tag ist er sein ständiger Begleiter - sein Herzblut.

In einem solchen Zustand kam er jeden Tag nach Hause, so wie an diesem Abend. Es machte wirklich keinen Unterschied, an welchem Abend er nach Hause kam, es war immer dasselbe. Er öffnete die Tür und schaute nach seinen nunmehr sechs Kindern, von denen zwei keine weiße Hautfarbe hatten. Er sagte ihnen noch gute Nacht und setzte sich dann an seinen Computer; jetzt war er wieder in seiner Welt. Im Gegensatz zu seiner Maschine auf der Arbeit nahm er an dieser Maschine seine andere Realität wahr. Er sah und hörte, wenn er online einen seiner virtuellen Gegner tötete, er sah sein Restselbstbild auf dem Monitor, er sah wie es zerfetzt wurde, wenn er mit einem Raketenwerfer voll draufhielt. Hier verbrachte er soviel Zeit, wie er nur konnte. Die einzige Unterbrechung, die er erdulden musste, war seine Frau. Sie kam so gegen Mitternacht in seinen Computerraum und legte sich sofort über einen Sitzball - so ein aufblasbares, neumodisches, rundes Ding auf dem man sitzen konnte. Sie hatte meist ihr seidenes rosa Nachthemd an, unter dem sie sonst nichts trug. In diesem Moment wusste Henry, was zu tun war. Ohne ein Wort zu sprechen begann er damit, seine eheliche Pflicht zu erfüllen, dies tat er solange bis er nichts mehr hörte und seine Frau sich nicht mehr bewegte. Hatte er diese Prozedur überstanden, konnte er sich wieder der digitalen Realität widmen.

Jetzt war er noch besser und schneller. Der ganze Monitor war voller Blut, er hatte sich bei den Anfängern eingeloggt, um eine möglichst hohe Tötungsrate zu erzielen. Mit seinen 39 Jahren war er in dieser Welt eigentlich ein Fossil aus längst vergangenen Zeiten. Seine Gegner waren die jungen Leute, denen die Welt der heutigen Zeit gehörte. Es machte ihm Freude, diese ihm so unverständlichen Wesen zu zerfleischen, sie waren so schnelllebig und hatten keine Werte, wie er sie mit auf den Weg des Lebens bekommen hatte. Sie hatten vor nichts Achtung, er war in diesem Moment der Rächer der Generationen, seine gesamte Energie floss in ein Universum der Oberflächlichkeit.

Jahre sind inzwischen vergangen, Henry hatte in der Zwischenzeit keine weitere Verbindung mit der übrigen Realität, die sich selbst als Normalität bezeichnete, hergestellt. Er lebte in dieser Realität ohne eine Veränderung seiner Lebensumstände und mit all seinen Schmerzen und den Trugbildern seiner eigenen Wirklichkeit. An einem Tag, es war im Juli, die Sonne schien und es war angenehm warm. Henry war inzwischen 45 Jahre alt; an diesem Tag war es passiert, er hatte sich etwas besonderes gegönnt. Er saß auf einem Rasen und beobachtete den Fluss, der durch seine Heimatstadt floss.

Er dachte plötzlich an seinen Vater. Genau in diesem Augenblick spürte er einen Stich in seinem Herzen und sofort fiel im die genetische Verbindung wieder ein. Folgende Wortfragmente gingen ihm durch den Kopf: Vater – Herz – Infarkt, Gott nicht ich, nicht so, nicht jetzt. Diese Gedanken hatten sein Leben verändert. Er sah ein Licht, es war um ihn herum und es war in ihm, er konnte es nicht genau orten, es schien ihm fast so als wäre es überall. Dieser letzte Schock hatte ihm einen Zugriff auf andere Realitäten gewährt. Jene Verbindung war seit dieser Zeit etabliert. Henry verlor immer mehr den Bezug zur Realität, er fragte sich, was ist real? Danach fragte er sich, was ist realer? Die Antworten, die er aus diesem multidimensionalen Universum erhielt, waren widersprüchlich, jede Realität bestand auf ihre Wirklichkeit und bezweifelte die andere.

Diese absurde Situation war für Henry eine Katastrophe, er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ihm wurde alles genommen und alles gegeben. Alle Türen des Lebens standen ihm offen und doch war die Auswahl so immens groß, dass er nicht wissen konnte, welche Tür für ihn die richtige war. Die Frage der Wahl wurde für Henry eine Frage der Qual. Eine Qual, die seine Grenze des Schmerzes bei weitem überschritten hatte. Der Schmerz, den er immer verspürte, war für ihn wie ein leichtes Kribbeln, welches den Hauch der Lust in ihm weckte. Eine Lust, die er nicht weiter beachtete, da sie in ihm eine Angst auslöste, die ihn an sein Versagen in ehelichen Dingen erinnerte. In seinem Kopf erschienen Bilder, die er – so glaubte er – niemals verstehen würde. Diese Bilder stießen ihn ab und zogen ihn gleichzeitig an, er fand einfach keine Wege, die ihm den Zugang vereinfachten.

Nach kurzer Zeit wurde ihm klar, dass diese Bilder nicht zu seiner eigenen Realität gehörten. Es waren Realitäten aus anderen Welten, welche ihm durch das Abschalten seiner eigenen inneren Uhr zugänglich wurden. Sein Leben hatte sich in den Augenblick des Seins verlagert. In diesem Augenblick überkam ihn eine Eingebung: „Sein oder nicht Sein“. Welch banale Idee, sprach er laut vor sich hin. Nein und nochmals nein, dachte er sich. Ich bin, was ich bin und nicht etwas anderes, was sollte ich auch sonst sein?

Diese Gedankenkette sollte sich für Henry noch als schicksalhaft erweisen, denn nun begann er, seine Existenz zu überdenken. Er stellte sich eine Frage, die sein gesamtes Dasein in Frage stellte. Was ist der Sinn des Lebens und was ist Leben überhaupt? Er dachte an seinen Computer und fragte sich, was würde ein Computerprogramm wohl fühlen, wenn es sich seiner Existenz bewusst wäre? Würde es die Existenz von anderen Realitäten akzeptieren oder verstehen können? Was wäre, wenn er nun ein solches Programm sei? Viele Fragen und keine einzige Antwort, dieses mal resignierte er nicht, er wollte Antworten - koste es was es wolle. Ihm kam plötzlich ein Film in den Sinn, den er einmal gesehen hatte. Jetzt fiel ihm auch der Titel wieder ein, es war der Film Matrix. Als er ihn damals gesehen hatte, hielt er ihn für neumodischen Mist und doch hatte er etwas; dieser Film enthielt aus seiner jetzigen Sicht einen Funken von Wahrheit. Eine Wahrheit, die ihm Angst machte!

Just in diesem Moment sah er in seinen Gedanken ein Bild von einer Wüste, er sah Kakteen, die riesig waren und Menschen von dunkler Hautfarbe mit Sombreros auf ihren Köpfen. Er wusste, dass er eine mexikanische Wüste sah. „Dorthin soll ich gehen?“ fragte er sich; das einzige, was er vernahm, war ein lautes „Ja“. Es war so stark, dass er es nicht weiter hinterfragte, er wusste einfach, was er zu tun hatte. Es war kein Gedanke und kein Gefühl: Er wusste es einfach. Henry konnte sich nicht erklären, woher das kam, aber es war so.

Also traf er die Vorbereitungen. Als erstes nahm er seinen Jahresurlaub und den Resturlaub der vergangenen fünf Jahre - das waren insgesamt 90 Tage. Sein Vorgesetzter machte ihm wider Erwarten keine Schwierigkeiten - im Gegenteil - er meinte sogar, dass es mal an der Zeit wäre, seinen Resturlaub endlich zu nehmen. Als nächstes löste er sein Sparbuch auf, das ein Guthaben von 9.000 € aufwies. Der nächste Schritt war der schwierigste für Henry: Er musste seiner Frau eine glaubhafte Geschichte auftischen. Also erzählte er ihr, dass seine Oma, die in Kanada lebte, dringend seine Hilfe benötige, da sie einen Herzanfall hätte und nun für einige Zeit an ihr Bett gefesselt sei. Seine Frau war sehr verständnisvoll und akzeptierte alles recht friedlich; das einzige, um was sie sich sorgte, war ihr Auskommen. Er erklärte ihr, dass sie über das Konto verfügen könne und zusätzlich noch das Urlaubsgeld zu ihrer freien Verfügung stand.

Von da an stand seinen Plänen nichts mehr im Wege. Er suchte sich im Internet eine nette Gastfamilie heraus, die im Nord-Westen von Mexiko am Rande der Sonorawüste lebte und sich durch solche Unterbringungen ein Zubrot verdiente. Nach der Buchung durch den örtlichen Fremdenverkehrsverein und der Flugreservierung konnte es losgehen. Alles lief so glatt, dass jeder Gedanke von Angst sich sofort wieder auflöste.

Der Flug war recht entspannend, Henry hatte durchgehend geschlafen. Als er in Mexiko angekommen war, stand zu seiner Überraschung schon ein junger Mexikaner auf dem Flughafen, der ein Schild mit seinem Namen hochhielt, er wunderte sich jetzt doch ein wenig darüber, dass die Organisation durch den Verkehrsverein so perfekt funktionierte, da er seine Flugnummer nicht mitgeteilt hatte.

Nach der Begrüßung, die sich als sehr anstrengend erwies, da er der Sprache nicht mächtig war, ging die Fahrt in einem alten klapprigen Jeep in Richtung seiner Unterkunft los. Die Fahrt war sehr beschwerlich, sie dauerte viele Stunden und an Schlaf war nicht zu denken. Es holperte und polterte als sie über die Straße fuhren - wenn man diese Piste denn so bezeichnen konnte. Es war eher ein mit Schlaglöchern übersäter Feldweg und selbst das war ein Kompliment an die Straße. Die Fahrt durch die Wüste war ein wunderbares Erlebnis für ihn. Wohin er auch blickte war nur Sand, es war eine drückende Weite. Das einzige, was noch drückender war, war die Luft, sie schnürte ihm langsam aber stetig die Kehle zu. Nach einigen Stunden Fahrt hatten sie ihr Ziel erreicht.

Vor ihm lag ein kleines Dorf, welches aus wenigen Hütten, die scheinbar aus Lehm gebaut wurden, bestand. Sein erster Eindruck erinnerte ihn irgendwie an eine Kitschpostkarte, die er einmal in seiner Jugend gesehen hatte, dieser idyllische Eindruck haftete immer noch an ihm. Direkt die erste Hütte auf der äußerst rechten Seite, gleich am Rand der Wüste, war die seiner Gastgeberfamilie. Nebenan stand eine winzig kleine Hütte, die mit einer Art oberirdischem Tunnel mit dem Haupthaus verbunden war. Wie er richtig vermutete, war dies sein Zimmer, in dem ein Bett, ein Schrank, eine Kommode und ein Waschtisch standen. Nachdem er seine Sachen ausgepackt hatte und ein wenig Ungeziefer – das ein leichtes Gefühl von Ekel in ihm aufkommen ließ – nach draußen geleitete, begrüßte er den Rest der Familie, die ihn alle sehr herzlich aufnahmen. Es war ein „richtig“ familiäres Klima, er fühlte sich sofort wohl. Zu seiner Verwunderung stellte er fest, dass einer der fünf Söhne die deutsche Sprache fast perfekt beherrschte. Er lebte einige Jahre in Deutschland, um sich ein wenig Geld zu verdienen, allerdings hat es ihm nicht sonderlich gefallen, da er das angenehme Klima von Mexiko und die Wüste vermisste. Auch er arbeitete in einer Fabrik, die medizinische Instrumente produzierte; allerdings bereitete ihm die klimatisierte Raumluft große Probleme, er bemerkte plötzlich, dass er gesundheitlich stark abbaute - also kehrte er wieder in sein geliebtes Mexiko zurück.

Nach einer langen Nacht und einigen Flaschen Schnaps, die die Gastfamilie irgendwie selbst brannte, legte  sich Henry - völlig erschöpft - schlafen. Er bemerkte aber noch, dass sein Zimmer inzwischen etwas herausputzt wurde. Auf der Kommode standen zwei blühende Kakteen und auf dem Boden lagen mehrere selbst gemachte Flickenteppiche mit einem angenehmen pastellfarbenen Längsmuster. Alles wirkte irgendwie beruhigend, er fühlte sich bereits am ersten Abend dort schon wohler als je zuvor Zuhause.

In dieser Nacht startete eine Traumsequenz, die sich aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammensetzte. Alles geschah in einem Augenblick zusammen und doch war es getrennt, als wenn er alle Zeitlinien zu einer verbinden und wieder trennen könnte. Dieser Traum war auch in allen anderen Details nicht mit einem gewöhnlichen Traum zu vergleichen. Seine Wahrnehmung ist, war und wird nicht verschoben sein - dies soll in etwa bedeuten, dass alles absolut real ist. Er wusste auch, dass er am nächsten Morgen alles wissen würde, was er träumte. Dieses Wissen hatte er, weil er es in einem seiner Zukunftszeitströme schon gesehen hatte. Henry war vollkommen fasziniert von diesem Ereignis. Alles, was er sah, zeigte sich in einem grünlichen Farbspektrum, das sich in Form von Energiebändern bis in die Ewigkeit zog. Als er den Bändern und Farben folgte, wurde im übel. Um so näher er dem Punkt kam, bei dem sich alles bündelte, desto stärker wurde die Übelkeit. Einen kurzen Moment lang sah er ein Wesen, das scheinbar aus Energie bestand, welches für ihn - irgendwie schemenhaft - das Aussehen eines riesigen Adlers hatte. Dieser Anblick verursachte schreckliche Krämpfe in seinem ganzen Körper. Er wachte sofort auf und war von einer panischen Angst befallen, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ, er schrie laut und verkroch sich in die hinterste Ecke des Raumes.

Dort kauerte er noch eine gute Stunde lang auf einem der Flickenteppiche vor sich hin. Als er sich wieder aus seiner Ecke heraus traute, war er immer noch ziemlich wackelig auf den Beinen. Erst nach einer längeren Zeit, in der er sich nervös umschaute und auf jedes Geräusch achtete, konnte er wieder einschlafen. Diesmal schlief er scheinbar traumlos. 

Am nächsten Morgen, so gegen 8.00 Uhr stand ein ausgiebiges Frühstück für ihn bereit, welches er mit Heißhunger verschlang. Die Luftveränderung schien seinen Appetit erheblich zu beeinflussen. So gegen 9.00 Uhr kam Pedro – der junge Mexikaner, der die deutsche Sprache beherrschte – ganz verschlafen aus seinem Zimmer und meinte, dass er nun erst einmal etwas ordentliches frühstücken müsse. Er wirkte irgendwie erschöpft, als ob er in dieser Nacht sehr viel Energie verbraucht hätte. Drei Tassen Kaffee später überlegte sich Henry, was er denn nun in Mexiko machen wolle, er dachte an die Wüste. Fast zeitgleich fragte ihn Pedro, ob er ihm die angrenzende Wüste zeigen solle. Dies bejahte Henry sofort mit einem großen und breiten Grinsen im Gesicht, jedoch pochte sein Herz auf einmal wie verrückt, er konnte sich dieses Pochen nicht erklären. Es kam wie aus dem Nichts und genauso schnell wie es kam, verschwand es auch wieder.

Dann gingen sie langsam aber stetig in ein großes Meer aus Sand, die Sonne spiegelte sich so stark auf der Oberfläche der Wüste, dass Henry seine Augen zusammenkneifen musste, die Ebene, die vor ihnen lag, wirkte wie ein riesiger Spiegel. Die Vegetation war spärlich aber auch höchst anmutend, große und kleine Kakteen sowie einige Pilze und Flechten unterbrachen die Eintönigkeit der Wüste. Hier und da vernahm er ein Huschen von Tieren, die er in seinem ganzen Leben noch nie gesehen hatte, es war fast so, als wenn der Sand lebte. Einige dieser Tiere schienen ihn zu beobachten, manche von ihnen verfolgten ihn, so meinte er zumindest zu glauben. Illusion und Realität sind in einer solch – wie es wirkt – unwirklichen Umgebung keine unterschiedlichen Phänomene, sondern sie sind eher einzigartig und zusammengehörig.

Sie gingen noch eine Weile schweigend nebeneinander her, bis Henry von seinem Traum erzählte. Pedro hörte interessiert zu, ohne Henry zu unterbrechen, er nickte immer nur, scheinbar schien er zu verstehen, was Henry da von sich gab. Nachdem Henry fertig war, bemerkte er eine ungewöhnliche Ruhe um sich herum, es war kein Geräusch zu vernehmen, es war für ihn fast beängstigend und doch ... Plötzlich fragte ihn Pedro, ob er sich denn einen Reim aus seinem Traum machen könne. Henry verneinte dies mit einem Kopfschütteln. Nun begann Pedro, mit einer gewissen Gleichmütigkeit,  von alten Mythen und Geistwesen zu erzählen, welche in der Wüste ihre Existenz hätten. Er sagte, dass diese Wüste heilig sei, heilig aus dem Grund, weil hier Wesen existierten, die außerhalb jeglicher menschlicher Vorstellungskraft lagen, es wären so eine Art von Energiewesen, die seiner Ansicht nach ein Bewusstsein hätten. Diese Wesen würden schon seit Urzeiten hier leben, lange bevor der Mensch diese entlegene Gegend bevölkerte.

Er meinte, dass Henrys Traum auf irgendeine Verbindung mit diesen Wesen hinweise oder sie sich ihm zu erkennen geben wollten, Träume dieser Art hätten normalerweise nur Schamanen und Seher. Er müsse sich darauf gefasst machen, dass ihm einige dieser Wesen etwas zeigen wollten, oder dass sie einfach nur einen Kontakt herstellen wollten. Henry dürfe sich nicht fürchten, ganz egal was auch immer passieren mag. Wenn sich diese Wesen jemandem auf diese Art zeigten, wie sie es ja offensichtlich getan hatten, nämlich durch – wie es die Seher nannten – heilige Träume, so war dies definitiv eine Kontaktaufnahme, die immer etwas zu bedeuten hatte.

Dieser Traum war kein Traum, sondern eine Einweihung in das heiligste Wissen der Seher. Eine solche Einweihung ist nicht mehr rückgängig zu machen, diese Erfahrung hatte Henrys Seele ganz tief im Inneren berührt und einen Punkt in seinem energetischen Organismus aktiviert. Dieser Punkt würde in der westlichen Esoterik als das „dritte Auge“ bezeichnet, allerdings sei das nur ein grober Vergleich. Pedro meinte nun, dass Henry und er ein paar Nächte in der Wüste verbringen sollten, um einige Zeremonien mit „heiligen“ Pflanzen zu vollziehen, danach würde Henry mehr verstehen können. Allerdings gäbe es hierbei auch ein paar Risiken, die für ihn aber recht überschaubar wären. Henry wusste nicht, was er sagen sollte, darum antwortete er Pedro, dass er erst darüber nachdenken wolle.

Weit am Horizont war eine Bergkette zu erkennen, von der sich Henry sichtlich angezogen fühlte. Er wusste aber nicht, warum, es war, als wenn sie ihn rufen würde. Er bekam eine Gänsehaut und hatte ein komisches Gefühl im Bauch, es war irgendwie ein Ziehen unterhalb des Bauchnabels. Direkt nach diesem Gedankengang fragte ihn Pedro, ob er sich die Berge einmal anschauen möchte, da diese einen ganz besonderen Charme hätten, ihre Wirkung sei regelrecht bezaubernd. Wenn er wollte, könnten sie am kommenden Tag mit dem Jeep dorthin fahren und ein paar Tage dort verbringen. Henry stimmte, ohne dass er weitere Überlegungen anstellte, zu - einfach so aus dem Bauch heraus. Im Nachhinein wusste er nicht mehr, woher diese plötzliche Sinneswandlung kam, sie war einfach da.

Pedro zeigte Henry noch ein paar Besonderheiten der Wüste, bevor sie sich auf den Heimweg machten. Es gab dort allerlei Insekten - Schlangen und andere Tiere, für die sich Henry im Moment nicht begeistern konnte. Schon von Kindheit an hasste er diese kriechenden Viecher. Als sie wieder Zuhause angekommen waren, wurde bereits das Abendbrot angerichtet, Henry war sehr hungrig und freute sich schon auf eine ausgiebige Mahlzeit. Die Zeit schien hier wie im Flug zu vergehen, Stunden kamen ihm wie Minuten vor.

An diesem Abend sah er zum ersten mal Antonia, sie war eine von Pedros Cousinen. Sie hatte langes, pechschwarzes Haar und eine Figur wie aus dem Bilderbuch. Ihre Ausstrahlung hatte eine seltsame Kraft, die auf den ersten Blick mit einem Bann vergleichbar war. Henry war sofort von ihr angetan, es war keine sexuelle Wirkung, es war mehr ein tiefes Gefühl von Geborgenheit. Auch sie war der deutschen Sprache mächtig - nicht so gut wie Pedro, aber eine gute Unterhaltung war ohne weiteres möglich. In dem darauf folgenden Gespräch, das bis tief in die Nacht hinein andauerte, erfuhr Henry, dass sie von Pedro die deutsche Sprache erlernte. Sie machten die ganze Zeit hindurch Späße und unterhielten sich über Gott und die Welt.

Eines ist ihm allerdings sofort aufgefallen: Sie hatte ein langes, buntes Kleid an; als sie sich auf dem Sofa räkelte, war ihr Kleid an einer Stelle etwas hoch gerutscht. Diese Stelle befand sich genau in der Mitte; es war nicht zu übersehen, dass sie nichts darunter trug, dieser Anblick verursachte sofort eine Regung, die Henry schon sehr lange nicht mehr verspürte. Da Henry nur sehr dünne Boxershorts trug, war dies auch für Antonia sofort erkennbar, sie schien diese Reaktion zu erwarten, da sich ihr Blick sofort auf diese intime Stelle richtete. Ohne dass einer von beiden eine Bemerkung darüber verlor, erzählten sie ganz gemütlich weiter. Die Stimmung, die sich daraus ergab, war prickelnd - die Luft schien elektrisch geladen zu sein. Henry fiel auf, dass Antonias Brüste sich hoben, sie wirkten ein wenig praller als zuvor. Beide wussten sie, dass ihre Erregung den Verlauf dieser Nacht auf eine ganz besondere Weise verändern würde.

Als Antonia einen schönen heißen Kaffee servierte, berührte sie Henry ganz leicht und zufällig mit ihrem Hintern an seiner Schulter, dann bückte sie sich von hinten über Henry, um den Kaffee auf den Tisch zu stellen. Dabei konnte Henry ganz deutlich ihre Brüste spüren. Diese Berührung brachte neues Leben in Henrys Gefühlsleben, er wirkte entspannt und aufgeschlossen, er musste über seine Worte plötzlich nicht mehr nachdenken, sie flossen einfach so aus im heraus. Die kleine runde Öllampe aus Ton, die in einer Ecke des Zimmers stand, verbreitete ein beruhigendes und warmes Licht, das sein inneres Feuer wieder zum Leben erweckte.

Unglücklicherweise verschüttete Antonia ein wenig Kaffee über Henry, was der Stimmung, die entstanden war, jedoch keinen Abbruch bescherte. Die heiße Brühe tropfte ihm genau zwischen die Beine, er biss seine Zähne zusammen, um den stechenden Schmerz ein wenig zu kompensieren. Antonia entschuldigte sich sofort und holte einen Lappen, der mit kaltem Wasser getränkt war, mit dem sie sofort begann, die betroffene Stelle zu befeuchten. Sie drückte den Lappen zusammen, so dass etwas von dem kühlen Nass heraustropfte. Es schien ihr peinlich zu sein, dass sie sich so schusselig verhielt, man konnte es an der Rötung, die langsam aber stetig ihre Wangen hinauf kroch, genau erkennen.

Henry mochte sich nicht mehr zügeln, er gab leise Geräusche der Lust von sich - zu lange hatte er ein solch schönes Gefühl schon nicht mehr verspürt. Antonia zog ihm die Hose soweit herunter, dass sie das volle Ausmaß ihrer Ungeschicklichkeit überblicken konnte. Sie meinte nur, dass sie, um eine Verbrennung zu verhindern, ein wenig pusten würde; der kühle Hauch würde eine Linderung bringen. Aus diesem Hauch wurde ein zärtliches Berühren mit der Zungenspitze. Henry war nicht mehr in der Lage, etwas zu sagen, er genoss diesen ewigen Moment der Wonne einfach nur. Nun begann Antonia ganz langsam damit, ihr Spiel der Ekstase weiter zu intensivieren, sie machte dies auf eine Art, die bei Henry Explosionen der Lust auslöste. Henry stand kurz davor, vor Lust zu schreien, eine Lust, die ein einmaliges Erlebnis für ihn war, noch nie hatte er solch intensive Gefühle verspürt, durch seinen ganzen Körper zog ein regelmäßiges Pulsen. Sie war begierig darauf, Henry etwas zu geben, das er so dringend benötigte wie andere Menschen Wasser zum Trinken, sie wollte in diesem Moment nichts sehnlicher.

Ein Außenstehender, der diese Situation aus einigem Abstand beobachten würde, hätte einen leichten Schimmer um Antonia bemerkt, der den ganzen Raum mit einer vibrierenden Energie erfüllte. Auch Henry schien dies zu spüren; eine solche Behandlung kannte er nicht, seine Frau machte dies zwar auch, aber nur um schnellst möglich einen korrekten Zustand für den Koitus herzustellen, aber nicht um ihre bedingungslose Liebe zum Ausdruck zu bringen. Nach einiger Zeit war es soweit, er spürte, dass ein pumpenartiges Gefühl entstand, welches auf den bevorstehenden Hochgenuss hinwies. Dieses Gefühl intensivierte sich immer mehr, ganz, ganz langsam, genau so, wie es sein sollte. Dann war es soweit, Henry schüttelte sich vor Lust, er war hin und weg. Er beobachtete in einem Spiegel, der links von ihnen stand, wie sich Antonia genussvoll seiner hingab, dies steigerte seine Empfindung noch mehr. Als das Spiel mit der Leidenschaft langsam zu Ende ging und Henrys Körper von einer angespannten Verkrampfung zu einer schlaffen Entspannung überging, sah sie ihn mit ihren dunklen, leuchtenden Augen an und brachte ihm ein Lächeln mit einer unsagbaren Ausdruckskraft des Herzens entgegen.

Für dieses Erlebnis bedankte sich Henry recht herzlich mit einem langen und intensiven Kuss, der so viel Gefühl enthielt, dass er selbst kaum glauben konnte, dass er das tat, dieser Kuss brachte all sein Gefühl aus tiefstem Herzen hervor. Sie unterhielten sich anschließend über alles mögliche, so erzählte Henry auch von seiner Arbeit und seiner Maschine dort. Er erklärte ihr, welche Aufgaben er inne hat und wie sein Tagesablauf aussah. Von seiner Frau erzählte er ihr natürlich nichts, es hätte Antonia auch nicht interessiert. Der weitere Verlauf des Gesprächs war ein Austausch ihrer beiden Lebensgeschichten, es war für das soeben Erlebte ein fast erschreckend oberflächlicher Austausch von Geschichten. Nur die Stimmung und das Gefühl sprachen Bände für sich, die in Worten nicht annähernd so möglich gewesen wären. So gegen 4.00 Uhr morgens legten sich beide mit einem Gefühl von unendlicher Zufriedenheit schlafen, in ihren Gesichtern spiegelte sich ein Ausdruck unendlicher Liebe wider, die sie auch sichtlich genossen. Henry kam sich vor, als wäre er aus einem langen, dunklen Traum erwacht.

Der nächste Tag begann für Henry weniger romantisch. Um Punkt 9.00 Uhr weckte ihn Pedro, da er meinte, dass heute ein guter Tag wäre, um in die Berge zu fahren. Das Wetter könne für solch einen Trip nicht besser sein. Henry schwang sich sofort aus seinem Bett und setzte sich an den frisch gedeckten Frühstückstisch. Von Antonia war nichts zu sehen, er traute sich auch nicht, nach ihr zu fragen, da er nicht wusste, ob er eventuell die Sitten der Familie verletzte. Also schwieg er und machte sich fertig für die Reise, sie würden wohl einige Tage unterwegs sein. Er hätte so gerne noch einmal mit Antonia gesprochen, nur um sie zu fragen, ob sie auch eine solch angenehme Wärme in ihrem Herz verspürte. Pedro hatte bereits alles eingepackt, was sie für den Ausflug benötigten und alles schon im Auto verstaut. Nach dem Frühstück fuhren sie dann direkt los, die Fahrt allein war für Henry schon ein Erlebnis; nach der Erfahrung mit Antonia sah er die Welt mit anderen Augen. Irgendwie hatte sich sein Herz geöffnet, ein Herz, das lange Zeit verschlossen und von eisiger Kälte dominiert war.

Aber jetzt hatte sich etwas geändert, er nahm plötzlich Dinge wahr, die er zuvor nicht bemerkt hatte, die ganze Gegend war mit einem Zauber überzogen, der scheinbar mit ihm kommunizierte. Sie fuhren stundenlang durch die Wüste, als er plötzlich, ca. 2 Kilometer vor den Bergen, Pedro bat, zu stoppen. Irgend etwas sagte ihm, dass er sich hier ein wenig umschauen sollte, es war eine Stimme, die er nicht kannte, die ihm aber trotzdem vertraut vorkam.

Er stieg aus dem Jeep und schaute sich ein wenig um, es war eine recht flache Gegend, die einen gewissen Charme hatte. Nach einiger Zeit ging er auf eine Ansammlung von Kakteen zu, die leicht versteckt hinter einer Art Sanddüne standen. Sie zog ihn fast magisch an, der ganze Ort hatte etwas Mystisches, es war ein seltsames Gefühl für Henry. Diese ganze Gegend wirkte so ehrfurchtvoll, er traute sich kaum, einen Ton von sich zu geben, er flüsterte sogar regelrecht. Zwischen den großen Kakteen wuchsen etwas kleinere, sie hatten keine Stacheln und waren irgendwie matt-bläulich gefärbt. Er fragte Pedro, ob er diese Kakteen kennen würde, da sie etwas merkwürdig aussahen. Pedro antwortete ihm, dass dieser Kaktus den Namen Peyote trägt, er sprach den Namen mit einem sonderbaren Unterton in seiner Stimme aus, den Henry nicht zu deuten wusste. Die alten Tolteken hätten bereits die Macht von diesem Kaktus genutzt, um besser und tiefer in die Traumwelten eindringen zu können, diese Welten hätten aber nichts mit einem normalen Traum zu tun.

Henry hatte schon einmal etwas über diese Tolteken gelesen. Es waren, soweit er dies richtig verstand, Zauberer aus alten Zeiten, die in Mexiko lebten. Seines Wissens wurden sie vor langer Zeit von den Spaniern zunichte gemacht und sie konnten ihre Erkenntnisse nur noch unter dem Mantel des Schweigens an ausgewählte Schüler weiter reichen, die dann in ihre Fußstapfen traten. Es erinnerte in irgendwie an die Inquisition, in der auch viele Naturgläubige auf brutalste Weise abgeschlachtet wurden. Er unterbrach seinen Gedankengang und fragte Pedro, ob er wisse, wie man diesen Kaktus nutze, um in den Genuss seiner Wirkung zu kommen. Pedro antwortete mit einem eindringlichen und unmissverständlichen Ja, aber er wies auch darauf hin, dass es nicht ganz ungefährlich sei, sich seiner Macht zu bedienen. Er selbst habe diesen Kaktus nur einmal probiert und dann nie wieder. Die bösen Visionen, die er hatte, sagten ihm, dass der Geist des Peyote ihn nicht akzeptieren würde, denn nicht jeder ist in der Lage, eine solch immense Macht zu gebrauchen. Seither nutze er die Pilze und einige Wurzeln von Pflanzen der Wüste, welche ihm wohl gesonnen seien, deren Macht aber bei weitem nicht so groß sei.

Der Peyote schien also selbst zu wählen, wer seine mächtigen Visionen nutzen durfte und wer nicht. Eine nicht geringe Zahl von Menschen hätten eine andauernde Missachtung dieser Regel schon mit ihrem Leben bezahlt. Pedro ging zu einem der Kakteen und schnitt mit einem Messer ganz vorsichtig, knapp über dem Wurzelansatz, ein halbes Dutzend kleine längliche Stücke heraus. Die Wunden der Pflanze versiegelte er mit etwas Sand, indem er ihn in die offenen Stellen mit dem rechten Zeigefinger vorsichtig einbrachte, dann bedankte er sich bei dem Kaktus für die Gabe.

Danach ging die Fahrt in Richtung der inzwischen nahen Berge weiter. Kurze Zeit später hatten sie ihr Ziel erreicht, sie parkten am Fuße der Bergkette, denn hier war für den Jeep die Fahrt zu Ende. Den Rest des Aufstieges mussten sie zu Fuß bewältigen. In der Hälfte des beschwerlichen Aufstiegs bemerkte Henry eine Stelle, die noch ein gutes Stück oberhalb ihres Weges lag. Es schien ein Plateau zu sein, das sich, soweit man es von hier aus beurteilen konnte, über eine größere Fläche zu verteilen schien. Er machte Pedro darauf aufmerksam, dass diese Stelle eine sehr schöne Silhouette hätte, dieser nickte nur zustimmend und ließ kein weiteres Wort darüber verlauten. Als sie einige Zeit später ziemlich erschöpft an dieser Stelle ankamen, sanken beide an Ort und Stelle nieder, um sich von den Strapazen ein wenig zu erholen, die Hitze hatte etwas mörderisches an sich.

Erst nach einiger Zeit schaute sich Henry ein wenig um, die Sonne brannte immer noch sehr heiß, obwohl es schon langsam Abend wurde. Der Anblick, der sich ihm nun eröffnete, war atemberaubend, er sah ein Meer aus Licht, das wie aus Gold geschaffen wirkte. Die Reflektionen schienen sich in alle Himmelsrichtungen auszudehnen und einige von ihnen tanzten rhythmisch über das Meer aus Gold. Henry konnte es kaum fassen, allein dieser Anblick übertraf alles, was er je in seinem ganzen Leben gesehen hatte. Diese Anmut war unglaublich, es berührte diesmal nicht nur sein Herz, sein ganzer Körper vibrierte voller Entzücken. Beide saßen noch eine Stunde so da und genossen den Ausblick.

Plötzlich stand Pedro auf und ging auf einen kleinen Felsen zu, dort legte er die gesammelten Peyotestückchen zum Trocknen aus. Bevor Henry fragen konnte, sagte er, dass man sie nicht in der vollen Mittagssonne trocknen dürfe, da sie sonst an Wirkung verlieren würden und böse Visionen bei ihrem Verzehr entstehen könnten. Der beste Zeitpunkt sei jetzt, wenn der Wechsel zwischen Sonne und Mond sich langsam vollzog, dies sei ein magischer Zeitpunkt, dessen Magie die alten Seher vor sehr langer Zeit auf ihren Reisen in andere Welten entdeckten. Seine Vorgehensweise wirkte irgendwie mechanisch und doch voller Andacht, als hätte er dies schon sehr oft gemacht. Dann erklärte er Henry, dass dieses Plateau ein Ort der Kraft und der Macht sei, die alten Seher und die neuen Seher nutzten diesen Ort, um sich ihrer selbst bewusst zu werden. Manche reisten Tausende von Kilometern an, um an diesen Ort zu gelangen. Jeder, der einen solchen Ort erkannte, hätte eine Gabe, welche nur ein Seher in sich finden könne.

Einige Zeit später konnte man sehen, wie die Sonne langsam begann, am Horizont zu verschwinden. Es tat sich eine neue Welt für Henry auf, die in einem Vergleich ihresgleichen nicht finden könnte. Henrys Gemütszustand änderte sich dahingehend, dass er eine innere Wärme und Ruhe verspürte, die sich äußerlich als ein leichtes Vibrieren ausdrückte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich seine Sicht der Dinge gänzlich geändert hatte. Früher sind ihm solche Phänomene niemals aufgefallen, er sah sie zwar, aber mehr auch nicht, sie konnten ihn nicht berühren, da er zu verschlossen war. Auch hatte er das Gefühl, dass die Zeit an diesem Ort ein anderes Tempo einlegte, entweder lief sie schneller oder langsamer - es war schwer zu sagen. In dem Moment, als die ganze Ebene von einem zarten Rot geflutet wurde und Henry scheinbar tief in sich selbst versunken war, fragte Pedro, ob er denn nun den Peyote probieren wolle. Henry antwortete aus dieser Gefühlslage heraus mit einem eindeutigen: Ja, ich will. Ob er sich seiner Antwort bewusst war, ist schwer zu sagen, denn er war nicht mehr in der Welt, die ausschließlich von den Gedanken dominiert wurde. Pedro begann nun damit, ein Ritual zu zelebrieren, das für Henry unverständlich war. Es geschah in einer Sprache, welche er nicht kannte, es klang nicht mexikanisch; irgendwie hatte es den Hauch von etwas Indianischem.

Und wieder bemerkte Henry den mechanischen Ablauf des Geschehens. Er wusste nun definitiv, dass Pedro in solchen Dingen sehr bewandert sein musste, es wirkte auf Henry so, als ob alles so geschah, weil es so geschehen musste. Die ganze Prozedur dauerte ca. 30 Minuten. Pedro sah aus, als wenn er in eine Art Trance verfallen sei, jetzt endlich schien es soweit zu sein; Pedro legte die Peyotestückchen in ein rotes Tuch, das er vorher aus einer Innentasche nahe seines Herzens geholt hatte. Als Pedro sich nun auf Henry zu bewegte, fing dieser an, am ganzen Körper zu zittern, er wusste nicht warum, aber anscheinend wusste es ein Teil von ihm. Pedro stellte neben Henry eine Feldflasche mit Wasser und gab ihm nun drei Stücke Peyote. Er erklärte ihm mit ruhigen Worten, dass er diese in den Mund legen solle und diese solange kauen müsse, bis er nur noch eine nach nichts schmeckende faserige Masse in seinen Mund wahrnehmen könne. Diese könne er dann ausspucken, danach wäre es erforderlich etwas Wasser zu trinken, ein viertel Liter sollte reichen.

In ihrer unmittelbaren Umgebung konnte man plötzlich ein Geräusch wahrnehmen, es klang wie ein heulen. Henry konnte es beim besten Willen nicht identifizieren, es klang auf jeden Fall nicht wie ein Hund. Als er seinen Blick auf Pedro richtete, sagte dieser sofort, dass es sich um einen Kojoten handelte. Der Kojote sei ein hinterhältiger Genosse, dem man nicht trauen könne, aber auch er hätte seine Stärken, welche in der Täuschung und in der Unberechenbarkeit liegen würden. Wenn man ihn mit den Menschen verglich, so wäre der Vergleich mit einem Manager oder Werbefachmann wohl der treffendste. Wenn man ihn links von sich hören kann, so sollte man seine Achtung auf die rechte Seite verlagern, nahm man ihn dann auf der rechten Seite war, so müsse man hinter sich schauen. Die Stärke der Täuschung wäre seine Gabe, welche man nicht unterschätzen durfte.

Inzwischen stand ein hell leuchtender Vollmond am Himmel, der die ganze Umgebung in einem diffusen, schummrigen Licht zeigte. Dieser Anblick war merkwürdig, die ganze Gegend wirkte schemenhaft, man hatte das Gefühl, dass sich Schatten in dieser gespenstig wirkenden Szenerie bewegten. Sie schienen immer näher zu kommen, Henry schrieb dies erst einmal seiner Fantasie zu. Aber als er Pedro anschaute, hatte er ein ungutes Gefühl in seiner Magengrube. Pedro nahm eine Körperhaltung ein, die wirkte, als wenn er etwas abwehren wollte. Er war in einer halben Hocke auf einem Bein und hatte seinen Kopf nach oben in Richtung des Mondes gerichtet. Immer wenn Henry dachte, dass sich ein Schatten näherte, stampfte Pedro mit dem anderem Bein rhythmisch auf den Boden, genau in diesem Moment schienen die Schatten wieder zu verschwinden. Dieser Anblick löste bei Henry so eine Art von Besorgnis aus, die sich allerdings nicht in Angst ausdrückte. Inzwischen war ca. eine Stunde vergangen, vielleicht waren es auch fünf - Henrys Zeitgefühl schien nun komplett zu versagen. Er hatte den Peyote, den er zu sich genommen hatte schon fast vergessen, erst als seine wahrgenommene Realität begann, sich in die Spektralfarben aufzulösen, dachte er wieder an ihn. Er sah Bilder, die langsam an Schärfe zunahmen, Bilder, die er kannte und Bilder, die ihm eine andere Welt zeigten.

Plötzlich waren seine Bedenken, die sich vorher in einem Gefühl von Angst ausdrückten, wie weggeblasen. Er stand auf und schaute sich die Gegend etwas genauer an. In diesem Gemütszustand fand er keine Worte für das, was er da sah. Er hatte den Eindruck, dass sich einige Wesen um ihn herum befanden, er konnte gar nicht verstehen, warum er sie zuvor nur als Schatten wahrnehmen konnte. Auch der Kojote war wieder da, diesmal näherte er sich bis auf einen Meter, sie schauten sich lange gegenseitig in die Augen. Nach einer Weile streckte Henry seine Hand aus und streichelte ihn, der Kojote schien dies sichtlich zu genießen. Dann begannen sie zu spielen, es war, als wenn er mit einem Schoßhündchen spielte, das völlig angepasst und zivilisiert war. Sie tollten und sprangen, Henry kam sich vor wie ein kleines Kind, das die ganze Welt als Wunder ansah. Alles war so neu und so ausdrucksvoll. Nun näherten sich auch die Schatten, Henry sprach sie sofort an und fragte, ob sie mitspielen wollten. Er wartete einen kleinen Moment, aber als er keine Antwort bekam, wendete er sich wieder dem Kojoten zu.

Henry wollte unbedingt weiterspielen, aber der Kojote schaute ihn nur an. Er drehte den Kopf von links nach rechts und wieder zurück, als wenn er Henry mustern wollte. Er sah aus wie einer dieser Kunststoffdackel, die eine zeitlang mal in Mode waren. Man sah sie oft in den Autos, wo sie auf der Heckablage standen und durch die Erschütterung der Fahrt immer so niedlich mit dem Kopf wackelten. Nachdem er dies eine Weile tat, sprach er Henry plötzlich an und fragte ihn, ob er denn wisse, dass er ein sehr altes und mächtiges Wesen sei. Henry fragte verdutzt: „Wen meinst du mit er und wieso kannst du reden?“ Der Kojote antwortete: „Ich meine dich und reden konnte ich schon immer, nur waren die Menschen mit ihrem beschränkten Bewusstsein nicht in der Lage mich zu verstehen.“ Er grinste hämisch als er den folgenden Satz begann: „Meine Welt ist die der Schönheit und der Freiheit, ich kenne keine Grenzen, weder früher noch jetzt und auch nicht später. Ich springe durch die Dimensionen und durch die Zeit, genau wie du mit deinem Auto durch die Straßen deiner Stadt fährst.“

Henry konnte das nicht glauben, was gerade geschah, er sagte erbost, dass dies anscheinend nur die berauschende Wirkung der Droge sei, die seine Sinne vernebelte. „Welche Droge“ fragte der Kojote, „der Peyote ist keine Droge, er ist ein Wesen mit einem Bewusstsein, ein Wesen dessen Macht über all seine Sinneswahrnehmung hinausgeht.“ Der Kojote führte weiter aus, dass das einzige, was es macht, Henry die Angst zu nehmen. Die Wesen, die Henry sah, seien astrale Geschöpfe, die sich von dem Gefühl der Angst ernährten. Aus diesem Grund dürfe er auch keine Angst verspüren, da sie diese sonst in einem solchen Ausmaß steigern würden, die durchaus den Tod bedeuten könnte. Nicht nur sein Körper wäre dann in Gefahr. Der Tod der Angst verschlingt die ganzen Wesen eines Menschen, dies wäre wahrlich ein endgültiger Tod. Durch den Peyote sei er in der Lage, die Dinge so zu sehen, wie sie sind und nicht so, wie er sie sich vorstellte. Es gibt nicht nur eine Realität, sondern viele verschiedene.

Der Kojote erklärte Henry: „Sieh dir z.B. diese Wesen an, glaubst du, sie wären real? Sie sind es. Glaub es mir, aber traue mir nicht, denn ich bin ein Kojote. Glaubst du, dass sie dich so sehen, wie du dich siehst? Nein, sie sind dumm, sie sehen dich als Energiefleck, welcher - wenn er voller Angst ist - nur ihre Nahrung repräsentiert. Die Menschen sind für sie nur Nahrung. Sie ernähren sich von den dunklen Gefühlen und Gedanken der Menschen und sie schüren sie noch, sie sind wie Bauern, sie sähen eine Saat, um später die Frucht zu ernten. Wenn du völlig frei von Angst und Furcht auftrittst, dann bist du fast unsichtbar für sie, sie können nichts von dir wahrnehmen, sie bemerken dann nur eine leichte Verzerrung in ihrer Umgebung.“

Henry war sichtlich verstört. Er fragte den Kojoten nun, ob er ihm glauben schenken könnte oder nicht. Nun meinte der Kojote: „Ich bin ein Narr, ein Narr der in allen Welten verweilt, ich kann dir nur die Türen zeigen, aber hindurch gehen musst du schon selbst, vertraue nur dir selbst und keinem anderem. Ich bin nur dein Freund und nicht dein Mentor, dieser bist du selbst für dich. Ich war, bin, und werde immer nur dein Freund sein und nicht mehr aber auch nicht weniger. Es gibt aber auch Wesen, die dir helfen können, die Türen zu öffnen. Sie werden dir helfen, du musst sie nur darum bitten, dies ist eine Vorraussetzung, da sie niemals gegen den freien Willen eines Wesens handeln. Eines dieser Wesen ist ganz in unserer Nähe. Dreh dich um und schaue nach.“

Als Henry sich umdrehte, sah er ein hünenhaftes Wesen, es war dunkel. So etwas dunkles hat er noch nie gesehen, es wirkte wie ein schwarzer Fleck auf einem hellen Untergrund. Direkt als er es erblickte, sagte es folgende Worte zu ihm: „Folge einem der Pfade, die sich dir offenbaren werden, überlege dir gut, wohin du gehst und nimm nicht zuviel Gepäck mit auf diesen Weg. Das Neue benötigt den Platz, der von den alten Muster belegt wird, vertraue dir in allem, was du tust und gehe den rötlich schimmernden Wesen vorerst aus dem Weg. Sie bestehen aus reiner Macht, du bist für sie nur ein Insekt, das sie zertreten, wenn es keine richtigen Antworten hat. Nur die Meister der Meister dürfen sich ihnen nähern. Wenn du meine Hilfe benötigst, dann denke einfach nur an mich und äußere dein Anliegen.“

Plötzlich erschien aus dem Dunkel der Nacht ein Wesen aus Licht. Henry staunte über einen solchen Glanz, dieses Wesen erhellte die ganze Gegend. Würde es auf einem Fußballplatz stehen, bei dem die Flutlichter brennen, so würde das Flutlicht nicht erkennbar sein, so hell strahlte dieses Wesen. Als es näher kam erkannte er es, es war Antonia, sie umarmte ihn und sprach mit einer warmen Stimme, die sofort sein Herz berührte. Sie sagte zu ihm, dass er nun Zuhause sei, sie wartete schon eine halbe Ewigkeit, gemessen in der Zeit, auf ihn. „Ich war immer bei dir, wenn du an deiner Maschine warst, dort habe ich mit dir gespielt und dich getröstet. Ich habe dich beschützt und ich habe über dich gewacht, so gut ich konnte.“

Antonia schickte nun Pedro nach Hause, der mit gleichmütiger Mine nur meinte, dass er sich für beide sehr freute und sich dann auf den Weg machte, um in der Dunkelheit zu verschwinden.

Henry äußerte nun einige Gedanken der Sorge, er dachte an seine Kinder und an seine Frau. Wie sollten sie ohne seine finanzielle Hilfe denn überleben? Antonia machte nun eine Handbewegung, mit der sie sofort neben seiner Maschine in der Fabrik standen. Dort sah Henry sich selbst, wie er seiner Arbeit nachging und gleichzeitig in einer Art Nebel mit einem schemenhaften Wesen spielte und tollte. Jetzt erkannte er blitzartig, dass Raum und Zeit für ihn nicht mehr existierten. Seine begrenzte Vorstellung von Raum und Zeit verschwand sofort, seine letzte Gegenwehr löste sich im Licht der Liebe auf und verband sich nun mit dem plastischen Raum, der sie umgab. Dieser fühlte sich an wie ein Gel, bestehend aus reiner Energie. Nun begannen sie eine Reise, die niemals endete, noch nicht einmal die Ewigkeit begrenzte ihre Zweisamkeit. Ihm wurde klar, dass er nie getrennt war von den Realitäten, er hatte nur mit den verschiedenen Wirklichkeiten gespielt, um Erfahrungen zu sammeln. Das Leben im Licht kannte keine Dualitäten, er wollte also nur erfahren, was er war. Für diese Mission schickte er sein Restselbstbild auf eine Reise, die in der Zeit eine halbe Ewigkeit dauerte, aber im Licht nicht messbar war. Das Restselbstbild ist eine Projektion in einem illusionären Raum, welcher speziell dafür geschaffen wurde. Nun kann er seine Erfahrungen genießen und er hat sich dadurch ein wenig besser kennen gelernt. Sein Restselbstbild an der Maschine wird nun die neuen Wege beschreiten können, obwohl es sich des Geschehens nicht bewusst ist. Nur ein Teil von ihm ist nach Hause zurückgekehrt.

Copyright 2003 by Michael Mayer